Mal nichts draus machen...
- Alex König
- 26. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Ich weiss nicht, wie oft ich in letzter Zeit auf LinkedIn und Co. dieselben Geschichten gelesen habe. Immer geht’s um Wachstum, Mindset, Durchhalten, Grenzen sprengen, irgendwas mit „Power“ und „Journey“. Und immer endet es mit einem Happy End.
Ich bin ehrlich: Ich bin müde davon. Nicht, weil ich etwas gegen Entwicklung hätte – sondern weil es kaum noch Raum gibt für alles, was nicht glänzt. Die ständige Selbstverwertung, dieses Aufblasen von ganz normalen Erfahrungen zu "transformierenden Erlebnissen", geht mir zunehmend gegen den Strich.
Warum muss aus allem sofort ein Learning gezogen werden? Warum kann nicht einfach mal etwas schieflaufen, ohne dass man es direkt mit einem Smiley und einem vermeintlich tiefgründigen Zitat verkauft? Warum müssen wir immer gleich Lösungen präsentieren?
Es ist fast, als hätte das Unperfekte keinen Platz mehr. Als dürften wir nicht einfach sagen: "Das war Mist. Ich bin erschöpft. Ich weiss gerade nicht weiter." Stattdessen wird alles in Erfolgssprache übersetzt. Selbst Müdigkeit wird zur Stärke erklärt – als „achtsame Pause im Wachstumsprozess“.
Aber manchmal fällt der Strom eben einfach aus. Es ist dunkel und man weiss nicht, wie lange es dauert. Punkt. Kein Licht am Ende des Tunnels, keine Metapher, kein neuer Business Case. Nur ein Moment, der sich nicht verwerten lässt.
Ich glaube, wir brauchen mehr davon. Mehr Raum für das Unspektakuläre. Für das Ungewisse. Für echtes Zweifeln, ohne dass gleich jemand einen Workshop draus macht.
Und ja, vielleicht auch wieder mehr Schweigen. Nicht jedes Gefühl muss gepostet werden. Nicht jeder Gedanke ist ein Content-Potenzial. Manchmal ist ein Gedanke einfach nur da – unfertig, leise, unklar. Und das ist völlig in Ordnung.
Was mich daran so stört, ist nicht nur die Oberflächlichkeit, sondern der Druck, der dadurch entsteht. Der Druck, das eigene Leben permanent zu erzählen, zu optimieren, zu verkaufen. Als wären wir alle kleine Start-ups, die in Echtzeit über ihre Höhen und Tiefen berichten müssen – nur bitte ohne echte Tiefen. Dabei ist das Leben nicht linear. Es ist verworren, unübersichtlich, voller Sackgassen, Abstürze, Wiederholungen, blinder Flecken. Und ja: manchmal eben auch einfach langweilig. Und trotzdem wertvoll. Oder gerade deswegen.
Vielleicht denkt jetzt die eine oder der andere: Was soll das jetzt? Und ja – das frage ich mich selbst auch manchmal. Ich bin ja auch nicht frei davon. Auch ich erzähle Geschichten, schreibe Texte, poste Bilder. Ich finde schöne Worte für Alltägliches, und manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich ein Gefühl in einen Satz presse, der zu gut klingt, um ihn nicht zu teilen. Auch ich sehe mich darin gefangen.
Ich bin Teil dieses Systems. Aber ich bin auch genervt davon. Vielleicht ist das der Anfang. Vielleicht reicht es schon, sich zu wundern. Ohne sofort ein Fazit draus zu ziehen.
Vielleicht ist das wahre Wachstum gerade das: nichts Grosses daraus zu machen.
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